«Ist das fair gegenüber den anderen Ländern?»

Seit Januar gelten neue Klimagesetze. Die Journalistin Alex Tiefenbacher erklärt diese, die CO2-Abgabe, das Emissionshandelssystem – und warum das Gebäudeprogramm reformiert statt abgeschafft werden sollte.

Seit Januar gelten neue Klimagesetze. Die Journalistin Alex Tiefenbacher erklärt diese, die CO2-Abgabe, das Emissionshandelssystem – und warum das Gebäudeprogramm reformiert statt abgeschafft werden sollte.

Alex Tiefenbacher ist Mitgründerin des Climate Journalism Network Switzerland. 2024 veröffentlichte sie gemeinsam mit Luca Mondgenast das Buch CO2-Ausstoss zum Nulltarif. Das Schweizer Emissionshandelssystem und wer davon profitiert. Seit über 15 Jahren schreibt sie über Klimapolitik, unter anderem für die Wochenzeitung WOZ und die Onlinemagazine Republik und Das Lamm. Bevor sie Klimajournalistin wurde, studierte sie Umweltnaturwissenschaften und Philosophie an der ETH Zürich.

Sarah Barth (SB): Wie sieht deine Welt 2030 aus?
Alex Tiefenbacher: 2030 liegt nicht mehr weit in der Zukunft. Natürlich hoffe ich, dass die Welt klimastabiler unterwegs ist. Aber wahrscheinlich wird meine Welt nicht sehr anders sein – ausser, dass es 2030 schon wieder ein neues CO2-Gesetz gibt.

Palle Petersen (PP): Damit sind wir direkt bei der Schweizer Klimapolitik. Seit dem 1. Januar 2025 gelten das revidierte CO2-Gesetz, das neue Klima- und Innovationsgesetz (KlG), der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative und die entsprechenden Verordnungen. Die CO2-Abgabe gilt als Kern des CO2-Gesetzes. Wie funktioniert sie?
Die CO2-Abgabe betrifft die Emissionen aus fossilen Brennstoffen, mit denen wir Häuser heizen oder die in der Industrie eingesetzt werden. Es geht dabei also nicht um Treibstoffe wie Benzin und Diesel. Die Schweiz hat die Abgabe schon 2008 eingeführt. Damals kostete eine Tonne CO2 12 Franken. Weil niemand wusste, wie hoch die Abgabe sein muss, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen, sollte sich die Abgabe laufend anpassen. Wenn wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichten, stieg die Abgabe automatisch an. Inzwischen kostet eine Tonne CO2 120 Franken. Nun fixiert das neue CO2-Gesetz die Abgabe bei 120 Franken pro Tonne, sie wird also nicht weiter steigen. Im internationalen Vergleich ist das allerdings schon recht hoch – in Deutschland sind es 45€ pro Tonne CO2 und auch in vielen anderen Ländern liegt der Preis tiefer oder er gilt nur für einzelne Sektoren.

PP: Privathaushalte müssen diese CO2-Abgabe zum Beispiel auf ihr Heizöl bezahlen. Emissionsintensive Firmen können alternativ die Zielvereinbarung mit Verminderungspflicht wählen. Vereinfacht gesagt schliessen sie dann einen Vertrag mit dem Staat über Klimaschutzmassnahmen ab, dafür sind sie von der CO2-Abgabe befreit. Neu können das alle Firmen machen. Wie siehst du das?
Das ist eine der wichtigen Neuerungen im Gesetz. Die Zielvereinbarung war als flankierende Massnahme für Firmen mit hohen Emissionen gedacht, die im internationalen Wettbewerb stehen. Dieser Spezialdeal wird jetzt zur neuen Norm. Alle Firmen können entscheiden, ob sie bei der CO2-Abgabe bleiben oder eine Zielvereinbarung unterzeichnen. Eine Studie des BAFU schätzt, dass das neu 5‘000 oder mehr Firmen machen werden. Bisher waren es nur 1‘300. Damit dünnt sich die CO2-Abgabe aus, weniger Emissionen aus der Wirtschaft erhalten einen Preis. Was die Firmen mit Zielvereinbarung genau umsetzen müssen, weiss man dabei nicht, weil diese Verträge nicht öffentlich sind. Was wir wissen: 2020 hätte der Staat gemäss Eidgenössischer Finanzkontrolle (EFK) 150 Mio. Franken mehr eingenommen, hätten alle Firmen die CO2-Abgabe bezahlt. Die Zielvereinbarungen bleiben ein guter Deal für die Wirtschaft, werden mit dem neuen CO2-Gesetz aber auch verschärft: Firmen müssen mehr Massnahmen umsetzen, da die Kategorie «wirtschaftlich tragbar» strenger definiert wird. Zudem gibt es einen fixen Reduktionspfad, Firmen müssen ihre Emissionen pro Jahr um 2,25% senken.

PP: Bleiben wir beim Geld. Mit der CO2-Abgabe nimmt die Schweiz jährlich 1,2 Milliarden Franken ein. Was passiert mit diesen Mitteln?
Das Geld landet zuerst beim Bund. Zwei Drittel werden zurückverteilt an Firmen und Haushalte. Damit will man eine Lenkungswirkung auslösen. Diejenigen, die bereits klimafreundlich wirtschaften oder leben, sollen unter dem Strich mehr Geld zurückbekommen, als sie einbezahlt haben. Was weniger bekannt ist: Diese Rückverteilung ging bis Ende 2024 auch an Firmen, die von der CO2-Abgabe befreit sind. Immerhin erhalten ab 2025 Firmen mit einer Zielvereinbarung kein Geld mehr aus der Rückverteilung. Die Firmen im Emissionshandelssystem – also die Firmen mit den höchsten Emissionen – erhalten jedoch weiterhin Geld aus diesem Topf, in den sie notabene nichts einbezahlt haben. Dadurch wird die Lenkungswirkung umgedreht: nicht wie vorgesehen von klimafeindlich zu klimafreundlich, sondern von klimafeindlich zu ultraklimafeindlich. Das letzte Drittel wird investiert. Das ist die sogenannte Teilzweckbindung der CO2-Abgabe. Dieses Geld floss bis jetzt vor allem in das Gebäudeprogramm und zeigte in den letzten Jahren gute Wirkung.

PP: Mit diesem Investitionsdrittel werden nun zwei neue Töpfe aus dem Klima- und Innovationsgesetz (KlG) finanziert. Was sind das für Förderprogramme?
Die Förderung von neuartigen Technologien und Prozessen dient der Dekarbonisierung von Unternehmen, das Impulsprogramm fokussiert auf den Heizungsersatz in Mehrfamilienhäuser. Der Haken: Diese Fördertöpfe sollten zusätzlich zu den bestehenden Investitionen durch das Gebäudeprogramm entstehen. Der Bundesrat will nun stattdessen das Gebäudeprogramm reduzieren und das freiwerdende Geld in diese zwei neuen Töpfe stecken. Mit diesen Plänen wird es am Ende weniger Geld für den Klimaschutz geben.

SB: Die Abschaffung des Gebäudeprogramms ist eine der grössten Massnahmen im sogenannten Entlastungspaket 27. Mit insgesamt 59 Sparmassnahmen möchte der Bundesrat den Bundeshaushalt ab 2027 um 2,7 bis 3,6 Milliarden Franken pro Jahr entlasten. Dies vor allem zur Finanzierung der 13. AHV-Rente und der steigenden Militärausgaben. Die Abschaffung würde knapp 400 Millionen Franken pro Jahr bringen, allerdings spart das Gebäudeprogramm mit diesen Mitteln etwa eine Million Tonnen CO2 pro Jahr ein, indem es Massnahmen wie den Ersatz fossiler Heizungen oder die Dämmung von Gebäudehüllen fördert. An einer Medienkonferenz im September 2024 kündigte Umweltminister Albert Rösti das Auslaufen des Programms an. Was denkst du dazu?
Für die Abschaffung wurden zwei Argumente vorgebacht: Das Gebäudeprogramm habe seinen Dienst getan und es gäbe zu viele Mitnahmeeffekte. Das heisst, es würden Dinge unterstützt, die auch ohne finanzielle Förderung passieren würden. Zwei Wochen danach hat die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK), unser höchste Prüforgan, einen Prüfbericht zum Gebäudeprogramm veröffentlicht. Die Informationen darin helfen, die Argumente des Bundesrats einzuordnen. Fakt ist: das Gebäudeprogramm hat seinen Dienst leider noch nicht getan. Zwei Drittel der Gebäude werden heute noch fossil beheizt.

SB: Dennoch sagen die Hälfte der Befragten, dass sie die geförderten Investitionen auch ohne die Subventionierung durch das Gebäudeprogramm getätigt hätten. In dem Fall hat ein Subventionsprogramm ein Problem, oder?
Das Gebäudeprogramm bräuchte tatsächlich ein paar Anpassungen. In einem ähnlichen Programm in Frankreich werden Fördermittel nach Einkommen gestaffelt. Reiche Menschen erhalten weniger Unterstützung als arme. In der Schweiz gibt es nur in einzelnen Kantonen eine solche Staffelung. Das wäre ein Mechanismus, mit dem man das Gebäudeprogramm einerseits sozialer machen und gleichzeitig die Mitnahmeeffekte reduzieren könnte. Im Übrigen wird es in den nächsten Jahren in immer mehr Kantonen eine Pflicht zum Heizungsersatz geben. Natürlich sind diese Gesetze gut. Aber eine grosse Schwierigkeit ist, dass längst nicht alle Hausbesitzenden das Geld haben, diese Pflicht auch umzusetzen.

SB: Der Bundesrat streicht das Gebäudeprogramm und steckt das Geld in die anderen beiden Programme. Ignoriert er damit den Volkswillen, dass im Klima- und Innovationsgesetz zusätzliches Geld für den Gebäudebereich investiert werden soll?
Es hat niemand damit gerechnet, dass für die neuen Programme ein bestehendes gestrichen wird. Aber ob tatsächlich ausdrücklich im Gesetz steht, dass die Massnahmen zusätzlich sein müssen? Jedenfalls haben es alle bei der Abstimmung so verstanden, und deshalb finde ich problematisch.

SB: Aktuell läuft die Vernehmlassung des Entlastungspaketes 27. bis zum 5. Mai können Kantone, Parteien, Organisationen, aber auch private Rückmeldungen zu den einzelnen Massnahmen einreichen. Auch Countdown 2030 wird diese Möglichkeit wahrnehmen. Im Anschluss wird das vorliegende Entlastungspaket vom Parlament beschlossen. Ohne Referendum treten die neuen Gesetze per Januar 2027 in Kraft. Wie geht es weiter, ist das Gebäudeprogramm gestorben?
Das kann ich mir fast nicht vorstellen. Es geht bei dem Paket nicht nur um das Klima, sondern auch um Migration, Entwicklungszusammenarbeit, Bildung. Es sind so viele Gruppen davon betroffen, dass ich davon ausgehe, dass das Referendum ergriffen wird. Einige Parteien und sogar Kantonen haben das bereits angekündigt. Denn die Kantone müssten sehr viele Kosten übernehmen. Deshalb könnte es auch zu einem Kantonsreferendum kommen: Wenn acht Kantone sich gegen das Gesetz stellen, können sie damit eine Volksabstimmung erzwingen. Diese Möglichkeit gibt es schon lange, sie wurde aber bisher nur einmal angewendet. Die Entwicklung, die gerade passiert, ist also eine durchaus spezielle und historische.

PP: Zurück zur Klimapolitik im Allgemeinen. Wir haben über Brennstoffe gesprochen. Ein wichtiger Sektor ist auch der Verkehr. Während die Emissionen im Gebäudebetrieb seit 1990 um 44% gesunken sind, sind es beim Verkehr nur 8% Reduktion. Was ist deine klimapolitische Erklärung dafür?
Erfolgreiche Klimapolitik besteht immer aus mehreren Faktoren. Man hat im Gebäudebereich einerseits die starke Bepreisung, andererseits auch eine grosszügige Förderung. Bei den Treibstoffen gibt es keine CO2-Abgabe, sondern eine Kompensationspflicht auf den Import von Treibstoffen. Beat Hintermann, Professor für öffentliche Finanzen an der Uni Basel hat berechnet, dass wir für CO2 aus Benzin und Diesel fünf- bis sechsmal weniger bezahlen als für CO2 aus Brennstoffen. Deshalb ist hier kein so ein starkes Preissignal entstanden.

PP: Bei den Treibstoffen kaufen die Importeure die Kompensationszertifikate und reichen die Kosten wahrscheinlich an die Konsument:innen weiter. Heute müssen sie nur 25% der Emissionen kompensieren, dieser Prozentsatz soll nun steigen.
Genau, bis 2030 erhöht sich der Prozentsatz schrittweise auf 50%. Gleichzeitig sinkt der Anteil, den die Importeure in der Schweiz kompensieren müssen von vorher 15% auf 12%. Das heisst der Anstieg findet nur im Ausland statt. Zudem wird die Richtlinie an sich nicht strenger, nur weil der Prozentsatz der Kompensation von 23 auf 25 Prozent steigt, denn genau das ist ja der Ansatz dieser Gesetze, damit wir irgendwann bei Null sind. Dass es einen Reduktionspfad gibt, gehört dazu. Schärfer würde ein Gesetz erst mit einem steileren Reduktionspfad. Das ist hier teilweise der Fall, weil der Prozentsatz nun nicht mehr wie bisher drei, sondern fünf Prozent pro Jahr steigen wird. 2026 werden es dann 30 Prozent sein. Gleichzeitig findet der Anstieg der Kompensation nur im Ausland statt – und das machen die Treibstoffimporteure gerne.

SB: Shell kann also als Importeur von Treibstoffen im Ausland Zertifikate erwerben und diese hier anrechnen?
Genau, zumindest zu einem grossen Teil. Das ist für Importeure attraktiv, weil die Kompensationstonne im Ausland viel weniger kostet als in der Schweiz. Gewisse Kompensationstonnen müssen sie aber auch in der Schweiz erwerben. Hier kommen wir auf das Gebäudeprogramm zurück. Denn einer der Kritikpunkte der EFK am Gebäudeprogramm waren die Doppelförderungen. Wer mit einem Projekt langfristig Emissionen reduziert, kann sich diese Reduktionen vom Bundesamt für Umwelt bescheinigen lassen. Diese Bescheinigungen kann man den Treibstoffimporteuren als Innlandkompensationstonnen verkaufen. Scheinbar passierte das auch bei Projekten, die über das Gebäudeprogramm gefördert wurden. Die EFK sagt klar, dass diese doppelte Förderung über das Gebäudeprogramm und den Kompensationsmarkt unzulässig ist.

PP: Aus atmosphärenphysikalischer und weltwirtschaftlicher Sicht ist es eigentlich egal, wo eine Tonne CO2 gespart wird. Macht es nicht Sinn, das dort zu tun, wo es am wenigsten Geld kostet? Stört dich speziell die Kompensation im Ausland oder hast du grundsätzlich ein Problem mit dem Konzept von Kompensation?
Mit allem ein bisschen. Zu den Kompensationen ist kürzlich eine breit angelegt Studie erschienen. Sie hat gezeigt, dass nur 16% der Kompensationszertifikate tatsächlich mit Emissionsreduktionen gedeckt sind. Im Emissionshandelsregister der Schweiz kann man nachschauen, wie viele dieser Tonnen offiziell verbucht wurden, es sind erst 2’000 Tonnen. Wir bräuchten aber Millionen Tonnen. Die 2’000 Tonnen sind zudem aus einem umstrittenen Projekt in Thailand, das E-Busse fördert. Unterschiedliche Medien – der Beobachter und die Republik – haben unabhängig voneinander das Projekt kritisiert. Diese Kompensationsprojekte laufen nicht gut, sie sind zu langsam und schwierig zu kontrollieren. Und sie verschieben das Problem in die Zukunft. Letztendlich müssen wir für Netto-Null auch die Emissionen in der Schweiz reduzieren. Kompensationen erkaufen also lediglich ein bisschen Zeit.
Mit der neuen CO2-Verordnung haben wir den Auslandanteil sogar erhöht. Bisher wollten wir 25% unserer Reduktion im Ausland machen, neu sind es sogar 33%. Zudem kümmern sich unsere Klimagesetze sowieso nur um die Emissionstonnen, die auf unserem Territorium anfallen – das sind 5 Tonnen pro Person und Jahr. Aber die Schweiz generiert über den Konsum noch viel mehr Emissionen im Ausland. Zusammengerechnet 13 Tonnen pro Person und Jahr. Wir haben also schon sehr viele Emissionen im Ausland. Mit diesen Auslandkompensationen schieben wir auch noch einen Teil unserer Inlandreduktionspflicht ins Ausland. Wir müssen uns fragen: Ist das fair gegenüber den anderen Ländern?

SB: Sprechen wir über das Emissionshandelssystem (EHS). Während Privatperson und KMUs die CO2-Abgabe auf Heizöl bezahlen, ist die Schwerindustrie davon befreit. Stattdessen müssen Zement-, Stahl- und Chemiehersteller für jede ausgestossene Tonne CO2 ein Emissionsrecht abgaben. Die insgesamt zur Verfügung stehenden Emissionsrecht nehmen jährlich ab. Auf den ersten Blick klingt das nach sinnvollen Marktanreizen. In deinem Buch kritisierst du das Emissionshandelssystem allerdings stark. Ist es so katastrophal konstruiert?
Neben den anfangs erwähnten Zielvereinbarungen ist das Emissionshandelssystem (EHS) die zweite Möglichkeit, um sich von der CO2-Abgabe befreien zu lassen. Das System ist mir dem EU-Emissionshandel verknüpft und folgt den gleichen Regeln. Hier geht es um die richtig grossen Emittenten, etwa 100 Firmen, die ca. 10% der territorialen Emissionen verursachen. Das ist vor allem die Schwerindustrie: Zement, Stahl, Chemie, Pharma, Papier oder Zucker. Wenn diese Firmen eine Tonne CO2 in die Atmosphäre emittieren wollen, müssen sie dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) ein Emissionsrecht abgeben. Der Staat gibt sozusagen eine Parallelwährung aus, die über die Jahre verknappt und deshalb teurer wird. Es geht also um ein Preis- und Mengensignal an den Markt. Das Preissignal ist bis jetzt aber nicht entstanden, weil 95% aller Emissionsrechte vom BAFU gratis zugeteilt werden.

PP: Kann man ausrechnen, wie viel die am System beteiligten Firmen für die Emission einer Tonne CO2 schlussendlich zahlen?
Für unser Buch haben wir berechnet, dass die Firmen im EHS insgesamt zwischen 2013 und 2020 etwa 3 Milliarden Franken bezahlt hätten, wenn sie auf jede Emissionstonne die gleiche CO2-Abgabe wie Privathaushalte und KMUs auf Brennstoffe bezahlen müssten. Im EHS dagegen bezahlten sie nur 100 Millionen. Allerdings gibt es schon auch erhebliche Unterschiede von Konzern zu Konzern. Die 95% Gratisemissionsrechte werden nicht gleichmässig auf alle Firmen verteilt. Einige mussten durchaus einen gewissen Teil ihrer Emissionsrechte kaufen, auf dem Markt kosten diese pro Tonne aktuell etwa 65€. Es gibt aber auch Firmen, die sogar mehr Emissionsrechte gratis bekommen als sie für sich selbst brauchen.

Entwicklung Emissionen und Gratiszuteilungen 2013-2020: Eine Einheit entspricht jeweils einer Tonne CO2-Äquivalente. Daten: Schweizer Emissionshandelsregister. Quelle: CO2-Ausstoss zum Nulltarif (Rotpunktverlag)

SB: Was machen die Firmen, die mehr Emissionsrechte geschenkt bekommen als sie brauchen, mit diesen übrigen Emissionsrechten?
Das haben wir die Firmen auch gefragt, geantwortet haben wenige. Eine Firma hat sie verkauft und damit 15 Millionen eingenommen. Einige legen sie beiseite und sparen sie für spätere Jahre, in denen die Emissionsrechte abnehmen werden. Das ist problematisch und reduziert die Wirkkraft des EHS in den kommenden Jahren.

PP: Ende 2023 hast du in einer Recherche für Das Lamm aufgezeigt, dass Zementhersteller einen CO2-Zuschlag auf ihren Zement eingeführt hatten, obwohl sie die Emissionsrechte nur selten kaufen mussten. Worum geht es genau und was ist seither passiert?
Das ist wirklich spannend für die Baubranche. Ab 2021 gab es einen neuen CO2-Zuschlag auf den Preislisten von Zementherstellern. Die Begründung war, dass die Rechte im EHS immer teurer würden. Die Preise für Emissionsrechte stiegen tatsächlich, nur mussten die Zementfirmen die meisten Emissionsrechte ja gar nicht kaufen. Einige Zementwerke haben in gewissen Jahren sogar mehr Emissionsrechte gratis erhalten, als sie für die Abgeltung von ihren Emissionen brauchten. Mindestens zwei Zementfirmen mussten wahrscheinlich noch nie etwas bezahlen. Trotzdem geben sie unter diesem Vorwand Kosten an die Betonwerke weiter, die bei Ihnen wahrscheinlich gar nie angefallen sind. Mittlerweile sind diese Zuschläge und auch der Verweis auf das EHS teilweise wieder aus den Preislisten verschwunden. Ob sie auch aus den Preisen verschwunden sind, ist schwer zu sagen. In der Recherche Ende 2023 haben wir die Preisüberwachung dazu angefragt und sie wollte prüfen, ob sie aktiv werden solle. In der Zwischenzeit ist, soviel ich weiss, aber nichts passiert.

PP: Da die Zahl der verfügbaren Emissionsrechte Jahr für Jahr abnimmt, gewinnen diese an Wert. De facto ist das eine staatlich garantierte Wertsteigerung für zurückbehaltende Emissionsrechte. Warum konstruiert man überhaupt so ein komplexes System und verschenkt dann fast alle Emissionsrechte?
«Carbon Leakage» ist das Schlagwort, um das System zu verstehen. Das heisst frei übersetzt «CO2-Abfluss». Es besteht die Befürchtung, dass Konzerne an Standorte ausserhalb des europäischen Emissionshandels abwandern, wenn sie zu viel bezahlen müssen. Für den Klimaschutz wäre das nicht sinnvoll, denn das CO2 wird dann einfach im Ausland emittiert. Die Politik hat auch Angst davor, dass Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verschwinden. Die Gratisemissionsrechte sind eine Prävention dagegen. Sie werden primär an Firmen verteilt, die einen «Carbon Leakage» Status haben, also ihre Emissionen leicht verlagern könnten. Je mobiler eine Branche ist, desto eher ist sie «Carbon Leakage» gefährdet und erhält dann extraviele Emissionsrechte gratis.

SB: Am Ende ist das EHS eine direkte Subvention der Schwerindustrie?
Genau. Die Politik behauptet zwar konsequent, die Schweiz mache keine Industriepolitik. Doch mit dem EHS unterstützen wir die emissionsstärksten Industrien seit über einem Jahrzehnt. Ich fände es wichtig, dass das transparent dargelegt wird.

SB: Die EU möchte das Problem der abwandernden Industrien und Emissionen mit einem Klimazoll lösen. Wie funktioniert das?
Der Klimazoll, auch Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) soll die neue Präventionsmassnahme gegen Carbon Leakage werden. Momentan begegnet man dem Problem damit, dass man die Emissionen eben mit diesen Gratisemissionsrechten überall gleich billig macht. Der Klimazoll soll das umdrehen. Es soll für alle gleich teuer werden. Die Idee ist, dass eine Firma, die zum Beispiel Stahl oder Zement aus der Türkei in die EU importieren will, an der Grenze gleich viel bezahlen muss, wie die innereuropäische Industrie über das EHS bezahlt hat. Das wird schrittweise eingeführt. Der Start wurde von 2026 auf 2027 verschoben, dann wird die innereuropäische Industrie erst 2,5% weniger Gratisemissionsrechte erhalten, gleichzeitig muss man an der Grenze für 2,5% der Emissionen dann Emissionsrechte kaufen. Im nächsten Jahr sind es dann 5%. Das Ziel ist es, die Gratisemissionsrechte durch den heutigen Emissionshandel bis 2035 ganz abzuschaffen.

Schrittweise Reduzierung der Gratiszuteilungen bei gleichzeitiger Steigerung der CBAM-Abgabepflicht in der EU. Daten: Pressemitteilung des Europäischen Parlaments. Quelle: CO2-Ausstoss zum Nulltarif (Rotpunktverlag)

SB: Die Schweiz macht da auch mit?
Nein. Bei den Branchen, die der Klimazoll betrifft – das sind Zement, Stahl und Aluminium – müssen wir die Gratiszuteilungen aber trotzdem reduzieren. Nur so bleiben wir kompatibel mit dem europäischen Markt, weil sie miteinander verlinkt sind.

PP: Schlusskurve. Manchmal scheinen die Herausforderungen allzu gross und es gibt Rückschläge wie die Klimapolitik in den USA derzeit. Aber Zynismus ist auch keine Lösung. Was gibt dir Hoffnung, dass 2050 besser als 2025 wird?
Am Ende muss es einfach. Ob optimistisch oder pessimistisch, ich glaube hoffnungsvoll zu bleiben ist auch einfach ein bisschen Pflicht.

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